Samstag, 19. Juni 2010
Geschlossene
Ankunft in der geschlossenen Irrenanstalt. Nur wenige Leute sind auf dieser Station. Die Mienen in den Gesichtern sind nicht sehr bewegt, das Alter der Leute über geschätzte 40. Nur ein Asiate, ein Philipino, wirkt wie Mitte Zwanzig, obwohl er sich verhält wie ein 16'jähriger. Er begann auch sogleich ein Gespräch mit mir. Er dürfe das Zimmer nicht verlassen. Meine Frage, warum, beantwortet er nicht. Erst später erfahre ich, er hat wohl sein Zimmer durcheinander gemacht und bringt die Pfleger zur Weißglut mit seinem Verhalten. Der Zimmerarrest ist also eine Art Strafe. Er sei adoptiert worden. Bei seinem Onkel sei er nicth so gern gesehen, weil er manchmal unordentlich aussieht und sich nicht gut verhalte, sein Onkel hätte Kindern, deswegen, meint er. Sie mögen es nicht, wenn er stinkt, und ihn nicht, weil er etwas verrückt sei. Er ist schnell begeistert von Kleinigkeiten, etwa, wenn vom Thema Computer erzählt wird.

Ich schlendere durch den Gang, komme mir vor wie auf einem Ausflug in eine andere Welt, lächele leicht vor mich hin, aus Unsicherheit und aus Ironie über die gegebene Situation. Es ist ein nicht sehr langer Gang, den man hier in Form eines U durchlaufen kann. Nur die Richtungen eines rechten Winkels sind mit Zimmern für Patienten versehen, der übrige Gang ist mit Arztzimmern, einem Gemeinschaftsraum, in dem geraucht werden darf und einem Essensraum versehen. Außerdem gibt es noch einen Platz in den Innenhof, in dem ebenfalls geraucht werden darf, wo neben Sitzmöglichkeiten auch eine Tischtennisplatte steht. Nach oben, rings herum, sind die Fenster der anderen Etagen zu sehen, darunter auch kleine Balkone, auf denen hin und wieder kleine bis größere Gruppchen zum gemeinsamen Rauchen stehen.

Auf dem Außenplatz lasse ich mich auf einer fest installierten Sitzmöglichkeit nieder und genieße eine Zeit die Sonne, bis mich eine Dame anredet, ob ich ein neuer Mitarbeiter der Station sei. Auch eine andere Dame kommt hinzu und meint, ich würde jemandem vom Personal ähnlich sehen. Ich verneine die Mutmaßungen. Während eines weiteren Laufes durch die Gänge, überlege ich, was ich tun könnte, setze mich schließlich zu den Rauchern in den Raucherraum. Hier werde ich solgleich als "Neuer" begrüßt und ausgefragt, was mich in ihre Gesellschaft verschlägt. Ich erkläre ihnen die Situation und lasse mich vollqualmen. Wenig später bin ich schon wieder im Gang. Ich weiss nicht so recht, was ich machen soll. Hier begegnet mir mein Zimmergenosse, wie ich später feststelle. Er scheint nicht viel Wert auf Haarekämmen zu legen. Seine Haare stehen seitlich in alle Richtungen ab, darunter 2 oder 3 längere Hörnchen aus zusammengeklebten Haaren. Die Frisur erinnert an einen Narren, es fehlen nur noch die Bömmel an den Hörnchen und das Bild wäre perfekt. Es ist mir ein Rätsel, warum er sich nicht die Haare kämmt, obwohl ein Kamm auf einer Ablage in der Toilette liegt. Zudem trägt er gerne eine Sonnenbrille. Sogar innerhalb des Gebäudes, dann aber weit auf der Nase heruntergezogen, so dass er darüber schauen kann. Er geht mit weit vorgebeugter Hüfte, was etwas seltsam anmutet. Dabei hält er manchmal eine Kaffeetasse weit vom Körper entfernt.

Man sagte mir vor der Aufnahme, es seien Sportmöglichkeiten vorhanden. Tatsächlich ist aber nur ein Trimmrad vorhanden, dessen Einstellrad nicht mehr am dafür vorgesehenen Platz und auch in der Umgebung nicht zu sehen ist. Das Trimmrad ist unter diesen Bedingungen nur auf stärkster Stufe zu benutzen, wodurch das Training sehr kraftzehrend ist. Nach wenigen Drehungen wird mir klar, ich würde einen erheblichen Muskelkater bekommen, also steige ich wieder ab und stehe wieder mit Fragezeichen im Kopf im Gang, mir nicht klar, was ich nun tun könnte.

Wieder im Raucherraum, Gesellschaft suchend, setze ich mich zu den anderen. Eine sehr dicke, aber vom Gesicht sympathisch wirkende Frau erzählt mir, sie sei Leibwächterin der Kanzlerin. Das sei gefährlich, sie müsse eine Waffe tragen. Letztens hätte man die Kanzlerin einfach hier eingesperrt. Ich lasse mir nichts anmerken, möchte nicht unhöflich wirken oder sie gar mit meine Skeptik verletzen.

Hier scheint jeder seine kleine Geschichte zu haben oder gleich mehrere davon. Auch der Mann, der auf einem Bett im Flur an der Hüfte festgeschnallt ist. Er habe Besuch, man solle ihn losmachen. Wichtiger Besuch, betont er lautstark, damit das Personal, beim Essen im nahegelegenen Raum, das auch tatsächlich hört. "Können sie bitte den Türdrücker drücken?", fragt er mich. Ich weiss nicht, was er meint, bin mir unsicher und frage bei Personal nach, ob dem Herrn irgendwie geholfen werden kann. "Lassen sie ihn einfach in Ruhe!", erhalte ich als Antwort.

Inzwischen ist der dritte Tag. Am ersten Tag war ich noch voller Elan, obwohl mich auch schon an diesem gegen Abend erste Zweifel an meinem Unternehmen überfielen. Ist man nicht irre, so wird man es hier, bin ich überzeugt. Es gibt nichts zu tun, außer den Gang auf und ab laufen, im Bett liegen, Kaffee trinken und sich teilweise wiederholenden Geschichten der Patienten anzuhören. Aber jetzt, wo ich dies schreibe, wird mir bewußt, vielleicht sollte diese Zeit genutzt werden, sich über sich selbst, über den gewünschten, weiteren Verlauf des Lebens, Gedanken zu machen. So liege ich eine längere Zeit und mache mir Gedanken, was schief gelaufen ist, wie es besser zu machen ist. Ich komme tatsächlich zu Ergebnissen, notiere mir diese. Im Anschluß bin ich wieder ratlos, was ich machen könnte.

Vor dem ersten Tag wurde ich eingeführt, darüber informiert, dass keine spitzen Gegenstände, kein Glas, ansonsten alles in Originalverpackung mitzubringen ist. Weiterhin, dass strikt den Vorgaben des Personals zu folgen ist. Wenn nicht, wird man entweder entlassen, wenn freiwillig anwesend, oder mit Sanktionen bestraft, wenn zwangsweise eingeliefert. So hat der Philipino tatsächlich Zimmerarrest, mit einer imaginären Linie, die anstelle der Tür zu denken ist. Selbst Leute, die sich an dieser Linie mit ihm unterhalten, werden weggeschickt.

Interessant aufgefallen ist mir auch ein Herr, der völlig steif den Gang entlang läuft. In einer Situation stand er direkt neben mir am Kaffeeautomat, goss sich eine Tasse Kaffee ein und sang leise vor sich hin "Ich liebe Deutscheland, ich liebe Deutscheland, ich liebe Deutscheland...", ein Lied, dass Stefan Raab bekannt machte. Die Bewegungen des Herrn sind sehr langsam, es scheint, als ob er nicht in der Lage ist, zur Seite zu schauen. Dabei ist er nicht dürr, sondern, zumindest was den Oberkörper betrifft, gut, fast bullig, gebaut.

Am dritten Tag erwachte ich schweiss-gebadet. Mein Zimmernachbar machte in der Nacht die Heizung an, wie er mir später zugab. Das Personal stand morgens um 7 Uhr vor der Tür, getraute sich kaum das Zimmer zu betreten. Mein Zimmernachbar erzählt übrigens gerne von seinem Kopf, dass dieser irgenwie locker sei, alles sei so wackelig, so lose da oben, meinte er bei einer Visite der Ärzte und deren Gefolgschaft, die aus angehende Ärzte und mindestens einem Pfleger besteht. Die Ärztin meinte darauf nur, man würde ja sehen, dass der Kopf an der richtigen Stelle liegt und dass dieser auch ordentlich befestigt sei. In der Nacht habe er sehr gefroren und habe auch nicht schlafen können. Deshalb habe er die Heizung angemacht.



Als wir an einem Tisch aßen, erzählte mir mein Zimmergenosse von seinem Kopf. Dass er Angst habe, sein Gehirn könnte durch Alkohol geschädigt werden und dass seine Probleme vom Gehirn kämen, von der linken Gehirnhälfte, wo nach seiner Meinung nach das Gehirnzentrum liegt. Ich hörte mir seine Worte an, nickte, gab aber keinen nennenswerten Kommentar, da ich nicht wusste, was ich darauf sagen solle. In einer Nacht lacht er lautstark vor sich hin. Mir fiel nichts auf, was dieses Lachen hätte auslösen können. So meinte ich erst, vielleicht hört er Radio, doch waren keine Kabel zu sehen. Also erinnerte er sich vielleicht an etwas. Doch das Lachen schreckte immer wieder plötzlich auf, so dass ich nicht schlafen konnte. Auch sein ständiges Verlassen des Zimmers und sein Hin- und Hergelaufe störten mich sehr. An sein Schnarchen hatte ich mich nach einer Nacht, obwohl ich es nicht für möglich gehalten hatte, gewöhnt. Vielleicht würde ich mich auch an dieses Lachen gewöhnen, wenn er es denn regelmäßig ausüben würde. Doch wird dieser Lachanfall mit Sicherheit nur vorübergehen sein. Er ist manchmal in Selbstgespräche vertieft, deren Inhalt ich aufgrund des Nuschelns nicht verstehe. Gerade jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, schaut er kurz ins Zimmer und verschindet wieder. Wenn man vom Teufel...

Ich halte es hier nicht mehr aus. Mir fällt die Decke auf den Kopf. Hier hat sich niemand die Mühe gemacht, einen anständeigen Plan für Suchtpatienten zu gestalten. Man ist sich selbst überlassen. Ich solle es als Strafe betrachten, meinte mein Chef am Telefon. Da hat er Recht. Je mehr es mir hier schwer fällt, desto mehr werde ich es als negative Konsequenz in Erinnerung halten.

Bald wird wieder Visite sein. Mir wird heute nicht sehr viel einfallen. Ich habe vor, ganz ohne den Ersatzstoff auszukommen und, wenn es klappt, in den nächsten Tagen diese mich krank machende Station zu verlassen.

Noch immer ist der dritte Tag. Es ist Abendzeit, 21 Uhr, den ganzen Tag über habe ich keinen Ersatzstoff genommen, dennoch geht es mir gut, lediglich etwas Nervösität ist vorhanden. Neben mir sitzt eine ältere Dame, erzählt mir zum zweiten Mal davon, dass irgendjemand der Insassen mit Marihuana handeln würde. Diesmal sind es der Philipino und der Schlesier. Wir sitzen draußen im Innenhof, es dämmert leicht, die Vögel zwitschern, in der Ferne sind die Geräusche der Fahrzeuge zu hören, die auf der nahegelegenen Straße fahren. Sie unterbricht die Stille und erzählt weiter, schließlich, auf meine Frage, woher sie denn wissen wolle, dass diese Leute mit Gras handeln, erwidert sie, dass sei so, und alles was sie sage sei die Wahrheit, ihr Wort sei Befehl. Mal sehen, wen sie hier mit raus nimmt, meint sie, entweder den Boris, oder den anderen. Der andere hätte Geld und Besitz, aber der Boris habe das sicher auch. Sie würde sich sehr wohl überlegen, wen sie sich aussuche. Mit ihren 60 Jahren sei sie noch immer etwas besonderes. Die Uhr im Gemeinschaftsraum sei stehen geblieben. Dort sei Marihuana versteckt. Die Pfleger würden dies schon beobachten. Ich lasse sie reden, betrachte mir die Fenster der anderen Stationen, die über uns zum Hof hinaus liegen. Erst nach meiner kleinen Lüge, ich wolle nun ins Bett gehen, gehen wird gemeinsam hinein in die Station. Ich schnappe mir ein Buch und gehe wieder hinaus, setze mich alleine in die Dämmerung und lese noch etwas.

Es ist der vierte Tag. Mir geht es noch immer gut ohne Medikamente. Die Ärzte verlangen während der Visite, dass ich mich an ihren Plan halte, also weiterhin langsam abdosiere, was ich aber für unnötig halte. Warum sollte jemand noch etwas nehmen, wenn kein Bedarf mehr besteht. Da ich mich dagegen strebe, ganz ohne auskommen möchte, sie aber verlangen, dass ich weiterhin Medikamente nehme, einigen wir und darauf, dass ich die Station verlasse.

Wenn man diese Menschen erlebt hat, wird einem bewußt, dass man sich als so genannter "normaler" Mensch glücklich schätzen kann. Und es erinnert daran, dass niemand davor gefeit ist, den Verstand zu verlieren.

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Mittwoch, 9. Juni 2010
Warteliste
Seit mehr als 2 Wochen rufe ich tagtäglich verschiedene Krankenhäuser an, um in einer Warteliste weiter nach oben zu rutschen und in einer Entgiftung aufgenommen zu werden. Die Tage ziehen sich hin, die vergangenen Wochen kommen mir vor wie Monate.

Wie ist es nur möglich, dass jemand, der Hilfe benötigt, erst in einer Warteliste aufgenommen wird. Mir ist bekannt, dass viele nicht durchhalten und in den ersten Tagen den Entzug abbrechen. Mir ist auch bekannt, dass der Arzt nicht wissen kann, wie ernst ich es meine und auf keinen Fall abbrechen werde. Schon mehrfach stand ich mit gepackter Tasche im Krankenhaus, in der Erwartung, als Notfall aufgenommen zu werden. Von wegen, jedes Mal wurde ich wieder weggeschickt. Unterlassene Hilfeleistung nennt man so etwas? Ich bin zunehmend Suizidgefährdet. In diesem Fall würde man mich sogar aufnehmen, aber nicht zur Entgiftung, sondern "normal" in der geschlossenen Station. Und anschließend würde ich in der Warteliste wieder ganz unten sein. Wie man es macht, es ergibt sich keine Lösung. Man ist gezwungen, weiter zu leiden, Tag für Tag, Woche für Woche.

Ich fühle mich am Ende, körperlich wie auch seelisch. Ich kann nicht mehr. Jeder Tag ist eine Qual, wieder das Zeug nehmen, um nicht in den Entzug zu kommen, mit Bauchschmerzen, sogar Nierenschmerzen, Heiß-/Kaltwellen, extremer Unruhe, unerträglicher Depressionen. Da es sich noch über Wochen hinziehen wird, so meine Erwartung, besorge ich mir jetzt immer größere Mengen auf einmal, da es so billiger ist. Habe ich eine größere Menge herumliegen, nehme ich aber auch viel mehr. So ist es letztendlich sogar teurer und mir geht es noch schlechter.

Dieses Warten. Jeden Tag anrufen, in der Hoffnung, es sei ein Bett frei. Jeden Tag die Enttäuschung. Ich bin froh, dass mein Arbeitgeber mich nicht sofort gekündigt hat, nachdem ich ihm meine Sucht zugab. Ich bin mir sehr sicher, bin ich über dem Berg, habe ich das schlimmste hinter mir, werde ich das Zeugs nicht mehr nehmen, da ich jetzt weiss, wohin es führt. Zuvor hatte ich alles noch einigermaßen unter Kontrolle, jetzt aber nicht mehr. Und dessen bin ich mir sehr bewußt. Das darf ich auch nie vergessen.

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Mittwoch, 14. April 2010
Möglichkeiten aus der Sucht? Rar und kompliziert.
Ich empfinde es als traurig, dass es so wenige Möglichkeiten gibt, um aus der Sucht zu gelangen. Man muss doch tatsächlich 2 Wochen auf die geschlossene Station, anschliessend wohlmöglich noch 3 Monate in die offene Irrenanstalt. Ersteres mögen noch viele durchhalten, letzteres kaum noch jemand. Im Gegenteil, diese Aussicht schreckt eher vor dem ersten Schritt ab, und somit davor, überhaupt etwas zu unternehmen.

Spricht man den Hausarzt an, entgegnet dieser, ambulanter Enzug nicht möglich oder nicht empfehlenswert, gehen sie in die Klinkk. Jener Hausarzt, bei dem seit neuestem alles, wirklich alles, sämtliche Beschwerden von H verursacht werden. Selbst ein Beinbruch wäre sicher das Resultat des Konsums von H. Sie haben Sodbrennen? Lassen sie das Zeug weg! Magen-/Darmprobleme? Alles davon! Sie brauchen keine Magen-/Darmspiegelung! Entziehen sie, dann wird alles besser! Überweisung zum Psychodokter? Kein Psychotherapeut wird sie behandeln, wenn sie nicht vorher entzogen haben. Da kann man ruhig sagen, man wolle das selber machen und benötige lediglich Unterstützung in Form einer Psychotherapie, mehr nicht, um das Problem bei der Wurzel angehen zu können. Verrückt.

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Sonntag, 28. März 2010
Veränderung in Einstellung und Denken
Eine Gewohnheit kann nur abgelegt werden, wenn eine Überzeugung vorhanden ist, dass diese unsinnig ist. Ein Mensch wird rückfällig werden, wenn eine Gewohnheit einfach nur so aufzugeben versucht wird, wohlmöglich auch noch hauptsächlich durch äußeren Druck, ohne dass innerlich eine Veränderung stattgefunden hat.

Eine Gewohnheit wird sogar aufrecht erhalten, wenn negative körperliche Symptome auftreten, solange der Gewinn durch die Gewohnheit höher ist als das, was an Symptomen ertragen werden muss. So kann z.B. Asthma hingenommen werden, zur Not gibt es ja auch noch Asthmasprays, die Linderung verschaffen. Dass sich auch eine schlimmere Erkrankung daraus bilden kann, wie COPD, wird verdrängt.

Wie wichtig einem Menschen die Gesundheit ist, hängt auch davon ab, wie der Mensch sich im Leben sieht, ob das Leben Sinn gibt, Spaß macht. Wird das Leben hauptsächlich mit Trübsinn verbunden, wird es weit schwerer sein, sich von schlechten Gewohnheiten zu trennen. Es muss eine Motivation dafür vorhanden sein.

Also muss sich das Denken ändern. Befindet sich ein Mensch in einer depressiven Phase, wird es sehr schwer fallen, aus dieser heraus zu kommen und wieder Lebensmut zu gewinnen. Dieser Mensch wird kaum daran denken, Gewohnheiten zu ändern.

Selbst wenn ich 2 Wochen oder gar 3 Monate in Therapie gegangen wäre, hätte ich höchstwahrscheinlich anschließend weiter gemacht wie zuvor, da ich mein fehlgeleitetes Denken nicht geändert hätte, was mich überhaupt dazu brachte, an einer Droge festzuhalten, die mir letztendlich nur Verblendung, mehr Schaden als Nutzen bringt.

Es fiel mir heute viel leichter, nein zu sagen. Ich merke, dass sich meine Einstellung verändert.

Heute war ich die meiste Zeit draußen unterwegs. Mir fiel aber nicht wirklich ein, was ich machen könnte. Zum Sport müsste ich dringend. Doch möchte ich erst wieder zu einem stabilieren Kreislauf zurück finden. Freunde habe ich keine am neuen Wohnort. Das sind gefährliche Bedingungen, die schnell wieder in ein Raster zurückfallen lassen, wird nicht ständig dagegen gestemmt. Letztendlich wird mir nichts anderes übrig bleiben, als durchzuhalten. Das, was ich die letzten Monate trieb, war alles andere als das, was unter Leben verstanden wird. Es war ein täglich gleiches Muster, in dem nur die Arbeit am Arbeitsplatz variierte, die primär dazu diente, eine Verblendung zu finanzieren.

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Samstag, 13. März 2010
Nix mit Bankkarte
Am Vortag habe ich meine Mutter darauf getrimmt, mir meine Bankkarte unbedingt NICHT zu geben, egal was ich sage. Aus Gewohnheit frage ich sie heute morgen, ob ich meine Karte bekommen kann. Ich weiss ja, ich brauche nicht lange reden, dann habe ich sie. Doch scheint sie jetzt sturer, das Ergegnis meiner gestrigen Vorbereitung auf heute. So argumentiere ich, mein Termin sei doch erst der 15.03., so sei es doch egal. Außerdem hätte ich heute nichts zu tun, könnte auch nicht ins Büro, um mich abzulenken. Sie bleibt stur. Mist, also muss ich jetzt wirklich da durch. Dabei hatte ich mich schon angezogen, um loszugehen.

Ich setze mich ins Wohnzimmer, setze mich auf einen Sessel und schaue aus dem Fenster. Ich sehe einen Baum. Das Wetter ist eher düster, verregnet. Der Baum steht mittem im Regen. Die Zapfen, die er trägt, wackeln leicht im Wind. Ist es eine Fichte? Eine Kiefer? Auf jeden Fall muss der Baum schon viele Jahre auf dem Buckel haben. Und steht immer dort am gleichen Platz, mit grünen Zweigen, bei jedem Wetter. Wieviele Generationen haben diesen Baum wohl schon betrachtet? Man nimmt so etwas für gewöhnlich überhaupt nicht wirklich wahr, weil es keine Bedeutung hat für das eigene Leben. Warum sollte man sich mit einem Baum beschäftigen?

Mir fällt die Geschichte von meinem Vater ein, wie er zu Weihnachten, ich war noch nicht geboren, einen Weihnachtsbaum trimmte, bis die Äste so rar waren, dass er wieder welche anbringen musste. Wie motiviert er war. Hier, im Herzen der Industrie Deutschlands, hat er meine Mutter kennengelernt. Ich bin noch nicht so alt wie er, und doch hatte er, als ich geboren wurde, soviel Motivation. Er baute mit 45 Jahren ein Haus, machte fast alles darin selbst, elektrische Leitungen, Fliesen, Vertäfelungen und vieles mehr. Ich werde in wenigen Jahren erst 40 und habe jetzt schon eine Midlifecrisis.

Ich betrachte den Baum und überlege, was ich nun machen soll. In der mir noch neuen Gegend, in der ich erst ein Jahr wohne, kenne ich noch niemanden. Zum Sport? Dazu fühle ich mich, so paradox es klingt, nicht fit genug. Was machen? Außerdem werde ich unruhig, knibbele meine Fingernägel, so dass es scheußlich aussieht. So sitze ich eine Stunde nahezu regungslos auf dem Sessel, sehe nach draußen und denke nach.

Keine Frau, keine Familie, kein Haus, keine Freunde, keinen Plan für heute. Nein, es wäre wirklich besser, in der Woche mit "H" aufzuhören. Dann kann ich zur Arbeit gehen, bin abgelenkt. Aber ausgerechnet das Wochenende dafür zu wählen. Der Plan ist auf jeden Fall richtig, je eher desto besser. Mir fällt aber die Decke auf den Kopf, während ich immer unruhiger werde, sogar Gänsehaut bekomme.

Während ich über den Sinn des Lebens nachdenke, fällt mir ein Zitat aus dem Film "Trainspotting" ein: "Und der Grund dafür? Es gibt keinen Grund dafür. Wer braucht Gründe, wenn er Heroin hat?" So ist es wirklich. Heroin lässt alles warm und angenehm erscheinen, Fragen nach irgendeinem Sinn entbehren plötzlich jeglichem Sinn, Ängste verschwinden.

Mir ist aufgefallen, ich spüre von "H" im Grunde überhaupt nichts mehr, abgesehen davon, dass es mir hilft, aus einer sehr unangenehmen, psychischen Krisensituation herauszufinden und wieder normal zu werden, wieder so normal zu werden, wie ich mich einst ohne das Zeugs fühlte. Wie verrückt. Man beginnt damit, sich damit hoch zu puschen und braucht es dann, um sich wieder normal zu fühlen.

Letztendlich konnte ich sie überreden, so dass ich eine kleine Menge für das Wochenende habe. Montag bin ich abgelenkt, werde nicht auf einem Sessel sitzen und fast wahnsinnig werden, sondern mit meiner Arbeit beschäftig sein. Das nächste Wochenende werde ich ebenfalls abgelenkt sein, da ich meine Kinder haben werde. Ich bin sehr zuversichtlich. Doch diese Zuversicht ist immer vorhanden, bin ich "befriedigt". Wie gesagt, fühle ich mich nicht im Geringsten high, sondern normal. Es ist auch nicht so, dass ich emotional besonders eingeschränkt wäre, wie es für gewöhnlich bei Heroin ist, dass also weder Freude noch andere Gefühle weitestgehendst blockiert wären. Dazu ist die Menge wohl zu gering. Nein, ich fühle mich normal, kann klar denken, fühle mich sogar frisch, denke sogar daran, Sport zu machen, möchte damit aber noch warten, bis wirklich alles aus dem Körper raus ist.

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